Sowohl glückselige als auch erschreckende Nahtoderfahrungen erfordern von den Betroffenen die Integration des Erlebten in den Alltag, was oft sehr schwierig sein kann. Milde Formen negativer NTE’s (Grundtyp 1), in welchen die erlebte Umgebung gar nicht bedrohlich, die eigene Reaktion dem Erlebnis gegenüber aber ablehnend war, wo also aus einer potentiell guten Erfahrung eine schlechte wurde, haben natürlicherweise ganz andere Nachwirkungen als Erfahrungen absoluter Leere oder das Erleben höllengleicher Regionen. Auch ist es für die Betroffenen sehr bedeutsam, ob die anfänglich erschreckende Erfahrung sich in eine glückselige wandelte, oder ob die Erfahrung bis zum Ende grauenvoll und belastend verblieb. Im letzteren Fall kann die die NTE zu einem psychologischen Trauma und einer oft massiven Angst vor dem Tod führen, da dieser mit einer Rückkehr in diese als schreckliche Unterwelt empfundene Region verbunden wird.

Es existieren keine verlässlichen Daten bezüglich Verarbeitung dieses Traumas. Es lassen sich jedoch ein paar Verhaltensmuster ausmachen:

  1. Verdrängung ist ein bekannter Mechanismus im Umgang mit traumatischen Erlebnissen. Der Kardiologe Rawlings postulierte, dass bei erschreckenden Nahtoderlebnissen deren Verdrängung sehr häufig sei. Und oft sei diese so stark, dass eine komplette Amnesie, also ein totaler Erinnerungsverlust daraus resultiere. Aus diesem Grunde müssten die Patienten gleich nach der Wiederbelebung befragt werden, um negative NTE überhaupt erfassen zu können, bevor diese bereits am Folgetag negiert würden.[1]Maurice S. Rawlings. Jenseits der Todeslinie: Neue klare Hinweise auf die Existenz von Himmel und Hölle (Originaltitel: To hell and back). Verlag Christliche Buchhandlung, Baden 1987 Diese Hypothese konnte bisher weder bestätigt noch widerlegt werden.
  2. Sachliche Interpretation. Gewisse Aspekte von Nahtoderfahrungen gleichen Halluzinationen. Die Interpretation gerade einer erschreckenden NTE als krankhafte psychotische Erfahrung kann entlastend wirken. Die Mehrheit der Betroffenen scheint aber einer sachlich-nüchternen Reduktion der NTE auf eine Halluzination nichts abgewinnen zu können. Dies hat v.a. mit der starken emotionalen Komponente und ausserordentlichen Wirklichkeitsnähe der Erfahrung zu tun. Wie schon erwähnt, wirkt die Erfahrung meist hyperreal, wirklicher als die Wirklichkeit selbst. Gemäss Nancy Evans Bush, welche selbst eine erschreckende NTE gemacht hat, bringe diese Art der Verarbeitung vielleicht momentane psychische Entlastung, auf die Dauer aber keine Erleichterung.
  3. Warnung und Läuterung. Diesen beiden Strategien fast diametral entgegengesetzt ist die Interpretation erschreckender NTE’s als Folge persönlichen Fehlverhaltens. Nach Frau Dr. Rommer, welche eine Vielzahl erschreckender NTE’s untersucht hat, führe diese Strategie am ehesten zu einer Integration der traumatischen Erfahrung. Solche Menschen würden das Erlebte im Nachhinein als warnenden Segen empfinden. Manche Betroffene sehen es als ihre Aufgabe, andere Menschen vor den Konsequenzen amoralischen Verhaltens zu warnen. Gewisse Erfahrende mit dieser Reaktionsweise stehen sogenannten christlich-fundamentalistischen Strömungen näher, in welchen die Hölle ein wichtiger Bestandteil des Glaubens ist.[2]Rommer, B.R. Der verkleidete Segen: Erschreckende Nah-Todeserfahrungen und ihre Verwandlung, Goch 2004, S. 56f
  4. Positivistische Interpretation. Nancy Evans Bush machte während der Entbindung als junge Frau eine NTE. Nach dem Verlassen ihres Körpers entfernte sie sich in rasender Geschwindigkeit von Krankenhaus, der Stadt und schliesslich der Erde. Verloren irgendwo in absoluter Leere wurde ihr in hämischer Weise erklärt wurde, dass ihr ganzes Leben nur Schein gewesen sei. Als sie viele Jahre danach Sekretärin der IANDS wurde, kam die verdrängte Erinnerung an diese Erfahrung wieder hoch und sie lernte durch ihre Tätigkeit, dass es noch weitere Menschen mit erschreckenden Erfahrungen gebe. Sie begann, diese Berichte zu sammeln und auszuwerten. Ihr Fazit ist durchaus positiv: Menschen mit erschreckenden NTE’s würden ihre spirituelle Erfahrung eines Abstiegs in die Hölle mit vielen Heiligen und Weisen aus allen Zeiten und Kontinenten teilen. Das populärste Beispiel in der westlichen Kunst ist die Versuchung des heiligen Antonius in der Wüste. Betroffene aber, welche nicht aufgeben würden, den Sinn einer solchen Erfahrung zu suchen, würden dadurch gestärkt und könnten schliesslich, entsprechend den glückseligen Erfahrungen, ebenfalls einen persönlichen Gewinn daraus ziehen. Sie sähen sich durch die Erfahrung in ihrer spirituellen und zwischenmenschlichen Entwicklung gestärkt.[3]Greyson B., Bush N.E., Distressing Near-Death Experiences. Psychiatry, 55:95-110, 1992

Für Betroffene von erschreckenden Nahtoderfahrungen ist professionelle Hilfe oder der Austausch mit anderen Erfahrenden sehr wichtig. Sind Sie selbst als Leserin oder Leser davon betroffen, können Sie mit unserer Organisation Kontakt aufnehmen oder auf unsere Therapeuten- und Therapeutinnenliste zugreifen.

 

Referenzen

Referenzen
1 Maurice S. Rawlings. Jenseits der Todeslinie: Neue klare Hinweise auf die Existenz von Himmel und Hölle (Originaltitel: To hell and back). Verlag Christliche Buchhandlung, Baden 1987
2 Rommer, B.R. Der verkleidete Segen: Erschreckende Nah-Todeserfahrungen und ihre Verwandlung, Goch 2004, S. 56f
3 Greyson B., Bush N.E., Distressing Near-Death Experiences. Psychiatry, 55:95-110, 1992