Nahtoderfahrungen können unabhängig davon auftreten, ob das Gehirn hoch aktiv ist, wie im Falle eines Absturzes mit erwartetem tödlichen Aufprall, oder ob es seine Grosshirnfunktion einstellt und im EEG eine Nullinie zeigt, was physiologisch gleichgesetzt wird mit fehlendem Bewusstsein respektive Koma. Entscheidend für das Auftreten von NTEs ist also nicht der Zustand des Gehirns, gleichzeitig aber auch nicht das Wissen darum, ob man sich in einer lebensbedrohlichen Situation befindet oder nicht. NTEs treten auch dann auf, wenn das Leben zwar massiv bedroht ist, man von dieser Gefährdung aber gar keine Kenntnis haben kann. Damit bleibt nur die Nähe zum Tod, ob vermeintlich oder tatsächlich eintretend, ob bewusst erfasst oder unerkannt, als gemeinsamer Auslöser von NTEs zu nennen. Sowohl hirnphysiologische wie psychologische Erklärungen sind damit bis heute nicht überzeugend.
Aus naturalistischer Sicht noch rätselhafter ist das Phänomen, dass ein Gehirn im massiv reduzierten Funktionszustand eines Nullinien-EEGs überhaupt zu einer NTE mit hochkomplexer und sinngebende Struktur sowie übersteigerten paranormalen Fähigkeiten fähig sein soll und diese Erfahrung dann auch noch speichern kann. Spätestens nach 30 Sekunden ohne Sauerstoffzufuhr respektive nach einem Herzstillstand tritt ein Nullinien-EEG ein. Eine Grosshirnaktivität ist damit nicht mehr nachzuweisen.[1]Pana, R., Hornby, L., Shemie, S.D., Dhanani, S., & Teitelbaum, J. (2016). Time to loss of brain function and
activity during circulatory arrest. Journal of Critical Care, 34, 77–83.
Hierzu muss kritisch festgestellt werden, dass die Beobachtung, dass im Alltagserleben Bewusstseinsfunktionen wie Lernen, Sprechen, Aufmerksamkeit oder Schlaf oft in Lokalisation, meist aber auch elektrophysiologisch oder sogar biochemisch unterschieden werden kann, nicht mehr als eine Korrelation darstellt. Wie und warum diese biochemischen Funktionen zu bewussten Erfahrungen führen, wie sie aus der Materie emergieren, ist nach wie vor völlig schleierhaft. Ein wirklicher Kausalitätsbeweis steht aus, viel gründlicher als meist angenommen. Angesichts dessen ist es erstaunlich, mit welcher Überzeugung ein Grossteil der naturalistisch geprägten Menschen davon ausgeht, dass es bewiesen sei oder zumindest viel wahrscheinlicher sei, dass alle Denk- und Bewusstseinsfunktionen hirngeneriert seien. Es kann sich genauso umgekehrt verhalten, dass also das Bewusstsein immateriell ist und das Gehirn mehr ein Empfänger ist als ein Sender darstellt. Es würde dabei genauso synchron zu den oben beschriebenen Bewusstseinsfunktionen arbeiten, aber vermittelnd in beide Richtungen, vom physischen zum seelischen wie auch umgekehrt. Auf alle Fälle lässt sich mit dieser dualistischen Sicht, wie schon mehrfach genannt, ein komplexes Phänomen wie NTE und all seine paranormalen Phänomene deutlich einfacher erklären.
Referenzen
↑1 | Pana, R., Hornby, L., Shemie, S.D., Dhanani, S., & Teitelbaum, J. (2016). Time to loss of brain function and activity during circulatory arrest. Journal of Critical Care, 34, 77–83. |
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