Der folgende Bericht ist die deutsche Übersetzung eines Interviews mit Frau Marie de Solemne. Das Interview führte die französische Schwesterorganisation der SWISS IANDS, die IANDS France durch. Sie erlaubte auch die hiesige Veröffentlichung nach der Transkription von Frau Regine Peter.

Ich sah mich von oben, hatte den Eindruck, dass ich dabei stand, und ich sah einen Krankentransportwagen, auf dem jemand lag. Die Leute rannten aufgeregt um diesen herum. Einige schoben den Wagen an. Er war voller Blut und ich dachte mir: «Was ist das denn für ein Spital, das ist ja grässlich.» Ich hatte keine Ahnung, dass die Person auf dem Wagen ich selber war. Ich war irgendwie dabei, nahm Teil, aber die Sache ging mich überhaupt nichts an. Ich kannte auch dieses Spital nicht, und doch war ich immer nah bei dem Wagen. Mich dünkte, ich sei auf der gleichen Höhe wie die Personen, die den Wagen hineinschoben. Ich hatte immer das Gefühl, ich sei in meinem Körper drin.

Dann gab es ein paar (Film-)Schnitte und plötzlich fand ich mich in einem Operationssaal wieder. Erst da merkte ich, dass ich nicht mehr auf der Ebene der anderen Personen war, sondern oberhalb. Ich sah die Szenerie von oben, wie von einem hohen Gestell herab. Ich sagte mir: «Das ist ja witzig, von hier aus sieht man alles wunderbar.» Ich merkte dann, dass der Körper, der da unten lag, mein eigener war. Es gab einen jungen Arzt, der im Operationssaal das Sagen hatte, viele Krankenschwestern und einen riesigen Apparat medizinischer Gerätschaften. Es war eigenartig zu realisieren, dass dies mein Körper war, der da lag. Man sieht sich im normalen Alltag ja nicht so. Wenn man z. B. in den Spiegel schaut, ist das etwas ganz anderes. Dennoch war mir völlig egal, dass ich das war, es interessierte mich überhaupt nicht, ging mich nichts an. Dieser Körper lag halt einfach da unten.

Doch plötzlich kam im Raum Panik auf, der junge Arzt gab Befehle, man solle – ich weiss nicht mehr, was – bringen. Er war schockiert, aber ich dachte bei mir: «Es gibt doch gar keinen Grund für diese Panik.» Ich verstand nicht, warum die alle so aufgeregt waren, das machte für mich keinen Sinn. Ich hörte immer wieder: «Wir verlieren sie!», aber das berührte mich in keiner Weise.

Dann befand ich mich in einem langen Korridor des Spitals, wo ich meine beste Freundin sitzen sah und meinen Freund, der bei France 3 Journalist war. Die waren völlig schockiert, ausser sich vor Sorge, aber ich verstand nicht, warum. Erst viel später wurde das klar. Ich ging zu ihnen, setzte mich neben sie – jedenfalls hatte ich den Eindruck, ich würde mich setzen – und wollte ihnen sagen, es sei alles ok, doch das ging nicht. Ich konnte mit ihnen nicht kommunizieren und das schmerzte mich sehr. Bald aber hatte auch das keine Bedeutung mehr, denn ich sah am Ende dieses Korridors durch eine Glastür ein helles Licht hereinscheinen, wie eine Sonne. Das zog mich an und alles andere um mich herum interessierte nicht mehr. Da wollte ich hin, zu diesem Licht. Das ging in Sekundenschnelle, ich dachte: «Da möchte ich hin» und war schon da. Doch die Glastür gab es nicht mehr, nur noch das Licht, ein immenses Licht, das aber gar nicht blendete. Es war mild, fast wie durch ein Filterpapier. Als ich einen Fuss in dieses Licht hineinsetzte, als ich es berührte, war ich sofort wie in einem Lift, der aber horizontal ging. Es zog mich in rasender Geschwindigkeit durch einen hellen Goldnebel hindurch. Es gab keinen Tunnel, nur dieses grosse Licht. Und mit einem Mal hielt alles an. Ich fragte mich nicht, ob ich einen Körper habe, ich glaube, ich ging davon aus, dass ich in einem Körper drin war.

Das Licht war wie Materie, man konnte es fast berühren, es wirkte sanft, warm und liebevoll. Es umarmte mich ganz und das Schönste war: Ich konnte mich diesem Gefühl von Wärme vollständig hingeben. Eine solche Zuwendung hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie erfahren. Die Emotion war unendlich viel stärker als das, was wir im normalen Alltag kennen. Das war unheimlich schön, und was mir als Erstes in den Sinn kam, ist: Ich bin zuhause. Es ist geschafft. Ich bin wieder da, hier bin ich daheim. Und dabei war um mich herum nur dieser Lichtnebel. In meinem Leben hatte ich immer unterschwellig das Gefühl gehabt, ich sei nirgends wirklich zuhause. Keiner kann sich das Glücksgefühl vorstellen, das ich hier empfand. Heimgekehrt zu sein an einen Ort, wo es kein Leid gibt. Da kommen mir noch heute, nach 32 Jahren, die Tränen.

Dann bildete sich aus diesem Nebel allmählich eine Form, die aussah wie eine menschliche Gestalt, verschwommen, auch ohne Gesicht, aber es war jemand, eine Präsenz, das war klar. Ich dachte, was ist das? Gott? Alles ging sehr schnell, das Wesen lächelte mir zu und sagte: «Nein, viel mehr als Gott, unendlich viel mehr.»

Ich hatte meinen Vater mit sechs Jahren verloren und wollte wissen, ob ich ihn hier treffen würde. Man sagte mir, nein, ich sei nicht zu diesem Zweck hier. Dann kam mir meine Grossmutter in den Sinn, zu der ich nicht immer nur nett gewesen war. Ich sah nun, wie unendlich sie mich trotz allem liebte. Mir wurde gezeigt, wie tief und stark ihre Liebe war. Und dass ich sie manchmal zur Verzweiflung gebracht hatte, hatte keine Bedeutung. Mehr bekam ich nicht gezeigt. Aber vielleicht war das deshalb, weil ich ja als junger Mensch noch gar nicht viel erlebt hatte.

Dann wollte ich weitergehen, weil ich in der Nähe noch eine Lichtgestalt sah. Da wollte ich hin, doch die Antwort war auch hier ein Nein, aber ein sehr liebevolles Nein. Dennoch wäre ich gerne weitergegangen, ich war ja zuhause und wollte hier bleiben und nicht wieder weg. Man sagte mir, ich würde später auf jeden Fall wieder herkommen, aber nicht jetzt. Ich spürte jedoch, dass ich nicht bereit war, in meinen Körper zurückzukehren, ich lehnte mich auf. Und doch war es unumgänglich, ich musste zurück. Denn ich hatte den Eindruck, dass man mir etwas ins Gehirn implantiert hatte – oder besser: in den Geist, ein Hirn hatte ich ja wohl nicht – dass man in mir eine Tür öffnete, die in allen Menschen vorhanden ist und die sich ab und zu ein bisschen auftut, wenn sich jemand besonders anstrengt.

Und dieses Wesen – ich nannte es Er-Es (frz. il-ça) – sagte mir, es öffne mir jetzt diese Tür, damit ich Einblick bekomme, und meinte: «Wenn du dann gehst, wirst du diese Tür selber öffnen können, aber du musst auch wissen, dass ich von jetzt an immer bei dir bin.» Ich hatte, als ich durch diese Tür schauen durfte, Zugang zum Leiden, zum Glück und zur Freude der ganzen belebten Welt.  Ich erlebte das feine Empfinden jedes Wesens mit, sei das eine Pflanze, ein Tier, alles. Ich meine die Ebene, in der wir Menschen leben, nicht die Stratosphäre. Es war ein übermächtiges Bewusstsein und es war kaum auszuhalten, wenn ein anderer Mensch Schmerzen hatte. Es war, als ob ich den Schmerz einer anderen Person empfinden würde, und ich spürte, wie schlimm das war. Ich war ja jung und hatte noch überhaupt nicht gelitten.

Das alles ging unglaublich schnell vor sich und ich wollte noch immer nicht von hier weg. Es war, als ob Er-Es für mich einen Rucksack packen würde mit dem nötigen Werkzeug für mein späteres Leben auf der Erde. Ich merkte, dass in mir drin etwas Immenses entstand. Dennoch war ich immer ich, war die gleiche Person und dachte genauso rebellisch wie früher auch, doch am Ende – nein, kein Ende, das war ja ein Anfang – umarmte mich – nein, von Umarmen kann ich nicht sprechen, das war es nicht, es war viel mehr: Er-Es berührte mich im tiefsten, innersten Kern meiner Seele, meines Geistes mit seinem innersten Kern, unfassbar zart. Da erfuhr ich, dass es eine Liebe gibt, die alles, was man hier unten kennt, übersteigt und nicht in Worte zu fassen ist. Durch diesen Kontakt, diese Berührung wusste ich, dass mir nie mehr etwas zustossen konnte. Dieser Kontakt geschah ohne Zeitdimension, es gibt hier keine Zeit. Er-Es sagte, ich könne nun gehen und Er-Es sei, bis ich wieder zurückkommen würde, immer in mir drin. Ich würde in meinen Körper zurückgehen und dort erledigen, was ich zu erledigen hätte.

Da nahm ich den Auftrag an, denn es war wie ein Geschenk. Diese Liebe war riesig gross, das war unendlich viel mehr als agapé, die selbstlose, göttliche Liebe bei den Griechen.

Ich kam auf leichte Art wieder in den Körper hinein, sofort nachdem ich den Rucksack bekommen hatte. Es machte «crac» und ich war wieder im Körper. Ich fluchte in mir drin: «Scheisse!» Jetzt hatte ich wieder diese Kopfschmerzen vom Schädelbruch, Schädeltrauma etc. Ich hatte sieben Tage im Koma gelegen. Und als die Hirnaktivität wieder einsetzte, sprachen alle von einem Wunder. Entgegen jeder Erwartung meines Umfelds war ich innerhalb von 1-2 Tagen wieder voll da, konnte sprechen, erinnerte mich an den Unfall und auch die Sinneswahrnehmung, das Gefühl für den Körper, alles funktionierte. Man behielt mich noch einen Tag in der Reha.

Die erste Person, die ich sah, war ein sympathischer junger Arzt – wahrscheinlich ein Notfallarzt – der mir liebenswürdig die Hand gab und sagte, wie froh er sei, dass ich das überstanden hatte. Ich war ans Bett fixiert, durfte mich kaum bewegen und wollte unbedingt erzählen, was ich erlebt hatte. Als ich sagte, ich hätte in dieser Zeit etwas ganz Ausserordentliches erfahren, änderte sich sein Gesichtsausdruck sofort. Er war distanziert und sah mich an, als ob ich verrückt wäre. Also erzählte ich nicht mehr weiter, sondern sagte so etwas wie: «Ich hatte wahrscheinlich während dieser Zeit einfach einen wunderschönen Traum.» Mir war sofort klar: Ich muss mich schützen. Und seither habe ich niemandem mehr von dem Erlebnis erzählt. Die ganzen 32 Jahre nicht.

Meine beste Freundin, die im Korridor drausssen gewartet hatte, kam herein, ganz erleichtert. Ich war auch froh, sie zu sehen, doch ich war innerlich abwesend. Ich bat sie, mir auf der Stelle Schreibzeug zu besorgen. Mir war klar, dass ich jetzt sofort alles notieren musste, was ich erlebt hatte. Sie sagte zwar, ich sei verrückt – ich und schreiben! – ich hätte nie auch nur eine Postkarte geschrieben! Doch dann brachte sie mir rasch Papier und Stift; alle hatten ja Angst um mich und so tat auch sie einfach, was ich in dem Moment forderte. (00:23) Ich musste diese fantastische Erfahrung festhalten. Es war ein Anfang, ein Start. Natürlich wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, um mich zu bedanken und mit ihr zu sprechen, doch ich sagte nur, sie möchte mich bitte allein lassen, und meine Stimme war hart, aber ich musste einfach so dringend schreiben. Sie tat, was ich verlangte, und ich schrieb auf, ohne zu verstehen, was. Ich sagte mir: «Du schreibst das jetzt auf, um es später zu erzählen, aber bevor du es erzählst, wirst du dich mit dieser Materie befassen, um zu verstehen, was das alles bedeutet.» Später gab ich dem Text den Titel: Cahier de silence (= Heft des Schweigens, der Stille). Das Einzige, was ich sicher wusste, war, dass kein Mensch diese Aufzeichnungen lesen durfte, dass ich das für mich behalten musste. Ich war danach recht erschöpft und versteckte das Heft unter dem Kissen für den Fall, dass mir noch mehr Details einfallen würden. Niemand hat je von diesen Aufzeichnungen erfahren.

Wie kommunizierten Sie mit dem Wesen, das Sie dort getroffen haben?

Das ist mit unseren Worten hier nicht auszudrücken. Man muss neue Begriffe erfinden, Umschreibungen. Ich hatte den Eindruck zu sprechen, ich hatte die Illusion, zu sprechen, aber ich sprach nicht wirklich. Als dieses Wesen Er-Es, von dem ich meinte, es sei Gott, zu mir sprach, waren sowohl Fragen wie auch Antworten direkt in meinem Kopf. Seine Worte hörte ich nicht mit den Ohren, sie waren einfach augenblicklich in mir drin. Der Austausch fand in der Geschwindigkeit von Gedanken statt. Ich bin keine Wissenschafterin, aber ich kann mir kein höheres Tempo vorstellen. Diese Geschwindigkeit war unglaublich und gleichzeitig fand auch eine Übertragung von Gefühlen statt. Ich spürte seine Liebe, realisierte aber, dass ich nicht dort bleiben konnte, und ich erlebte seinen Schmerz darüber, dass er mir Nein sagen musste, aber auch seine Entschlossenheit. Ich sprach keine Worte, doch ich zeigte in meiner Emotion, dass ich dableiben wollte. Es war ein Austausch auf geistiger Ebene – ich weiss zwar nicht, was Geist ist, aber ich gehe davon aus, dass wir den haben – es war keine Kommunikation, wie wir sie kennen, nichts Körperliches, keine Gesten, alles war auf der Ebene von Seele und Geist, doch auch emotional.

Da die Emotionen eher an den Körper gebunden sind – oder wenigstens denken wir uns das so – und die Gefühle mehr an den Geist, wurde mir klar, dass dieses Wesen eine Barriere, die der Mensch in sich hat, hochheben kann, so dass etwas im Menschen, das so gross ist, dass es alles in sich aufnehmen kann, Zugang bekommt zu umfassender Kenntnis über alle Dinge. Als diese grosse Tür geöffnet wurde, sah ich alles. Eigentlich hätte ich über die Massen erstaunt sein sollen, doch das war nicht der Fall. Es war, als zeigte man mir etwas, das ich schon längst wusste, zu dem ich aber den Bezug verloren hatte. Mir wurde nicht nur die Dimension des Schmerzes in der Welt zutiefst bewusst, sondern auch die Tatsache, dass ich nie etwas dagegen getan hatte.

Sie sprachen von einem absoluten Wissen, dass man alles sofort versteht und durchschaut…

Ich habe verstanden, dass es ein grenzenloses, ein umfassendes Wissen gibt. Mit jedem Schritt der Menschheit kommen wieder neue Kenntnisse dazu und am Ende musste ich an Sokrates denken, der sagte: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.» Daher glaube ich, dass Sokrates eben auch dort war. Dieses grosse, umfassende Wissen kann ich nicht mit Worten ausdrücken. Ich könnte sagen, ich hatte Zugang zum Universum – nein, ich weiss ja gar nicht, was das Universum ist. Es war, wie wenn man alle Menschen zusammennehmen und alles, was ein Mensch empfinden kann, selber auch empfinden würde. Und es ging darum, wie man auf einen Menschen zugehen muss, damit er es schafft, die Gewalttätigkeit, das Böse zu überwinden zu Gunsten des Guten, des Wohlwollens. Und das wünschten sich alle. Ich sah, dass sogar die boshaftesten Menschen das möchten, aber es gelingt nur selten. Es gibt immer etwas, was uns blockiert, die eigentlich in uns angelegte Grosszügigkeit, die spontane Liebenswürdigkeit gegenüber den anderen Menschen zu leben. Man hat innere Ängste, da sind viele Barrieren in uns, die den Zugang zu dieser Grosszügigkeit versperren, und zwar Zugang nicht nur zu Menschen, auch zu Tieren, Pflanzen, sogar zu den Mineralien – das gilt wenigstens für die einen von ihnen. Alles war miteinander verbunden. Ich sah, dass man nichts geringschätzen oder schlecht behandeln darf.

Es war, wie wenn ich mit allem «eins» oder «vereinigt» wäre, doch ich mag dieses Wort nicht, es ist mir zu stark religiös besetzt (frz. communier = dt. Vereinigung im Abendmahl). Ebenso Wörter wie Seele, Geist oder eins sein sind stark geprägt durch den Gebrauch im religiösen Kontext. Ich mag das wirklich nicht und benutze diese Wörter nur, wenn es nicht anders geht.

Was ich in der NTE erlebt habe in diesen Tagen, in dieser einen Sekunde oder gar Milliardstelsekunde, was weiss ich – hat nichts, aber auch gar nichts mit irgendeiner Religion zu tun, jedenfalls nicht so, wie man Religion heute unterrichtet bekommt. Das ist etwas ganz anderes. Man findet natürlich einzelne Figuren wie Jesus, Buddha oder sonstige ausserordentliche Persönlichkeiten, die uns zeigen, wie Nächstenliebe praktiziert wird, und die bemüht sind, keine Bösartigkeit aufkommen zu lassen. Diese Figuren sehe ich aber nicht in einem religiösen Kontext, sondern einfach als Menschen mit grosser seelischer Kraft, die in verschiedenen Epochen bedeutende Sätze geprägt haben, um das Gute auf der Welt zu stärken. Seit meiner Nahtoderfahrung ist mein Atheismus nicht mehr materialistisch, ich bin unterdessen eine ziemlich eigenartige Agnostikerin, d. h. ich weiss, dass etwas existiert und dass dieses Etwas nicht das ist, was uns die Religionen beibringen. Das ist schade, es hat sich durch die lange Zeit abgeschwächt im Menschen und wir sind per definitionem nicht vollkommen. Das ist halt, doch ich weiss ganz sicher, dass da etwas ist.

Ich weiss, dass die Materialisten nicht Recht haben, wenn sie behaupten, nach dem Tod sei alles zu Ende, alle Moleküle würden sich auflösen und nichts würde überleben, auch keine Gedanken. Nein, es gibt etwas nicht Definierbares, etwas, das, wie auch ehrliche Religionsführer zugeben, nicht positiv in Worte zu fassen ist. Man nennt das apophatisch, also nur negativ definierbar. Das bedeutet, dass man nur sagen kann, was es nicht ist.

Mir geht es ähnlich: Dieses Universum oder auch dieses Wesen, das lässt sich nicht positiv beschreiben. Was es in diesem Kontext nicht gibt, ist ein Dogma. Weder während der Erfahrung noch danach war jemals irgendetwas dogmatisch. Es gab auch keine Liste von Dingen, die man tun oder lassen soll. Keine Vorgaben, an die man sich halten müsste. Es, dieses Unbenennbare, ist nicht sichtbar und steht nicht auf Wunsch zur Verfügung. Man kann nicht einfach anrufen, da oben haben sie kein Telefon. Es ist nicht mit Worten zu fassen, es ist unsagbar. Es ist nicht benennbar, es gibt dafür keinen Namen. Man nähert sich dem Versuch einer Beschreibung oder Erklärung nur an, indem man so wenig subjektiv ist wie irgend möglich – ich wage noch nicht mal zu sagen: so objektiv wie möglich. Nein, so wenig subjektiv wie möglich, indem man eben sagt, was es nicht ist. Es ist auch nichts Ausserirdisches, nichts, was wir als science fiction kennen. Und es gibt da nichts Verbotenes, das existiert nicht; Fehler und Irrtum sind Teil des Ganzen.

Und doch – aber das weiss ich erst, seitdem ich mich mit den Dingen intensiv befasst habe – ich habe ein Wort gefunden: es ist Wohlwollen (frz. la bienveillance) in seiner reinsten Form. Wieder ein Wort, dem die Religionen ihren Stempel aufgedrückt haben, wie wenn das Wohlwollen eine Erfindung der Religionen wäre, insbesondere des Christentums.

Nein, Wohlwollen ist in jedem Menschen angelegt. Es ist nicht so, dass das Wohlwollen erst mit den Religionen in die Welt gekommen ist. Folglich wehre ich mich dagegen, dass einzelne Gruppierungen, Sekten oder etablierte Religionen sich Begriffe aneignen und dass, wer diese Begriffe anwendet, automatisch in deren Machtbereich zu stehen hat. Nein! Ich möchte Begriffe wie Seele, Wohlwollen, allumfassende Liebe benutzen, ohne dass ich mich an irgendeine Institution, an eine Struktur gebunden fühlen muss. Ich gehöre keiner Gruppierung an, ich bin absolut frei. Ich war schon mit 25 frei, nur war mir das damals nicht bewusst. Das habe ich erst viel später realisiert.

Könnten Sie mir einen kleinen Ausschnitt davon schildern, was Sie gezeigt bekommen haben, als Sie auf Ihr Leben zurückblickten? Sie haben ja in einigen Szenen Ihre Grossmutter gesehen…

Ja, ich bekam keine sehr ausführlichen Erklärungen, wie andere sie erhalten. Bei mir war das recht kurz. Das Wichtigste war: Ich konnte akzeptieren, dass ich meinen Vater nicht sehen durfte. In einem anderen Kontext hätte ich rebelliert, doch dieses Wesen war so voll von Liebe, mit der es mich umgab, dass ich alles annahm, was es mir sagte.

Meine Grossmutter lebte zum Zeitpunkt des Unfalls noch und man versuchte, sie zu schonen, und sagte ihr, es sei alles nur halb so schlimm. Denn wenn sie gewusst hätte, was wirklich mit mir passiert war, sie hätte das nicht verkraftet. Sie hatte ihren Sohn verloren, als er 25 Jahre alt war, und ich war damals genau gleich alt. Meine Freunde waren echt genial. Sie sagten ihr nichts vom Koma, nur, dass ich schon ziemlich havariert sei und wohl noch ein paar Tage im Spital bleiben müsse. Sie riefen sie jeden Tag an und schafften es, sie zu beruhigen und zu schonen.

Einmal zeigte mir dieses Wesen meine Grossmutter, die ja zum Zeitpunkt meines Unfalls wie gesagt noch lebte. Ich verstand das nicht sofort, doch dann wurde mir klar, worum es ging. Die Informationen kamen zu mir ohne Worte, es war eine Gedankenübertragung und ich sah, wie sehr diese Frau gelitten hatte im Leben, wie ihr Herz reine Liebe war, Grosszügigkeit, Wohlwollen. Sie gab alles und forderte nichts. Und ich hatte trotzdem immer wieder Grenzen überschritten. Ich merkte, dass dieses Wesen wusste, warum. Dass es wusste, dass ich als Kind gelitten hatte, doch ich verstand, dass man trotz allem – unabhängig vom Mass des Leidens – nichts Böses tun, sich nicht «rächen» darf. Es zeigte mir diese Grossmutter – aber nicht, damit ich, wenn ich zurückgehen würde, Busse tun müsste, sondern damit ich ihr gegenüber eine Haltung entwickeln könnte, die ihrer würdig war.

Sie bereuten Ihre Aggressivität, nachdem Sie mit den unschönen Szenen konfrontiert worden waren, die Ihre Grossmutter mit Ihnen erleben musste. Könnten Sie das noch etwas deutlicher ausführen?

Als mir meine Grossmutter gezeigt wurde, spürte ich ihr Empfinden, wenn ich zu ihr etwas Unschönes sagte oder sie im Ungewissen liess, ihr nicht offen sagte, was los war. Ich merkte jetzt, wie sehr ihr das wehtat. Niemand sagte mir etwas dazu, ich spürte nur diesen Schmerz an mir selber. Ich erlebte ihr Leiden, wie wenn ich sie wäre. Und das war schlimm, das war nicht richtig und es tat mir weh. Und das trotz des Wohlwollens, das sie mir entgegenbrachte. Aber trotzdem verurteilte mich das Wesen in keinster Weise. Es sagte mir nicht, ob das jetzt gut oder schlecht war. Nein, ich selber erlebte, wie schlimm es für sie war. Ich fragte mich, warum ich mich so verhalten hatte, und das war die wichtigste Lektion, die ich gelernt habe.

Das theoretische Wissen ist nichts. Am effizientesten lernt man, wenn man das Leiden des anderen am eigenen Leib erfährt. Da erlebte ich in mir drin, wie sich das für meine Grossmutter anfühlte. Und es ist klar: Wer das erlebt hat, kann sich nicht mehr so schlecht benehmen, nie mehr. Ich liebte sie nach dieser Erfahrung immer noch wie früher, doch ich verhielt mich anders. Ich war sehr hart zu ihr gewesen und nun war meine erste Aufgabe, sobald ich zurück im Körper war, ihr die Liebe zu geben, die sie nie erfahren hatte – nicht meinetwegen hatte sie diese Liebe nicht, sie hatte es einfach im Leben schwer gehabt – und ich versuchte nun, ihr das gleiche Wohlwollen entgegenzubringen, das sie für mich empfand.

Das Wesen wollte mich motivieren, indem es mich das Leiden meiner Grossmutter durchleben liess, als zusätzliche Hilfe, um zu verstehen. Und tatsächlich war sie ausserhalb meines engsten Freundeskreises die erste, die ich nach dem Spitalaufenthalt besuchen ging. Ich versuchte von nun an – seien wir ehrlich, ich versuchte es, das schaffte ich ja nicht sofort und auch nicht immer – zu ihr freundlicher zu sein. Ich habe sie bis heute nicht vergessen. Bis heute denke ich mindestens 3-4 mal in der Woche an sie, obwohl sie schon lange tot ist. Und ich spreche im Alltag mit ihr. Ich hoffe, ich habe ihr ein bisschen Sanftheit und ein wenig Humor geben können. Gelegenheiten zum Lachen hatte sie in ihrem Leben keine gehabt und das war etwas, das ich ihr nun schenken konnte.

War diese Erfahrung anders als ein Traum oder eine Halluzination?

Es war sofort klar, dass es sich nicht um einen Traum handelte. Das war ohne Frage real – auch ein Wort, das ich ungern benutze. Das war echt, wirklich, greifbar. Ich schrieb ja im Spital wie automatisch Dinge auf und verstand anfangs kaum, was ich da notierte – und das sind echte Beweise. Das war harte Arbeit, denn ich war ja rebellisch, doch die Emotion ist so eindeutig, dass ich sie heute noch genau gleich empfinde wie damals vor 32 Jahren. Es fühlt sich an, als wäre das gestern geschehen. Das ist kein Traum. Ein Traum oder ein Albtraum kann Sie ein paar Tage beunruhigen, aber nicht 32 Jahre lang. Das ist Wirklichkeit, auch mit all dem, was danach passiert ist: das ist wirklich echt. Ich hatte nie Zweifel. Ich zweifelte an den Menschen und an deren Bereitschaft, mir zu glauben. Und es ging nicht darum, die Menschen zu verurteilen, sondern darum, mich zu schützen. So gab es für mich in dem Moment nur das eine Mittel, nämlich zu schweigen. Das hat mich viel gekostet, das können Sie mir glauben.

Wie erklären Sie sich, was Ihnen passiert ist?

Aus heutiger Sicht – denn das ist klar, damals hatte ich nicht die intellektuellen Mittel, um solche Dinge in Worte zu fassen – hat nichts von dem, was geschehen ist, irgendeinen Bezug zu neurologischen Erklärungen, egal welcher Art. Denn heute kann ich, wenn ich will, nochmals durchleben, was damals war, zwar nicht so intensiv wie beim ersten Mal, aber dank dem Partner, den ich seither in mir drin habe, kann ich das spüren. Und bitte: Mein Hirn funktioniert perfekt, ich ich bin völlig normal, auch nicht in Behandlung, ich fühle mich rundum wohl.

War das nun eine Tür zum Tod? Ich glaube, es ist eine Tür in ein Ausserhalb, ein Jenseits. Eben das, was die Leute Tod nennen. Ich weiss nicht, ob das etwas Unumkehrbares ist. Meiner Meinung nach gibt es nicht zwingend eine Unumkehrbarkeit.

Da ist eine unermessliche Energie, die über das Universum hinaus wirken oder existieren kann, die jedem Lebewesen Kraft verleiht und ihm hilft, zu leben, und zwar nicht um böse zu handeln, sondern gut und freundlich. Denken Sie an ein Kind während der Schwangerschaft. Dem sollte man nur Gutes tun, sonst stirbt es. Das gilt auch für Erwachsene. Und wenn Sie einen schlecht behandeln, stirbt er, auch wenn Sie ihn nicht mit der Pistole erschiessen. Wenn Sie jemandem aber Gutes tun, dann kann er, sogar wenn er schwer krank ist, gesund werden.

Also, es gibt in jedem von uns – auf einer höheren Ebene als der von Körper oder Hirn – eine Seele. Dieses Wort könnten wir verwenden, weil es schon bei den Vorsokratikern erscheint und also nichts mit heutigen Religionen zu tun hat. Diese Seele ist in uns allen, in den Menschen und – wer weiss – auch in den Tieren, doch da kenne ich mich nicht so gut aus. Aber irgendwo in uns gibt es einen Zugang, eine Tür, die so etwas ist wie Anfang und Ende, wie ein Alpha und Omega des Lebens. Anfang und Ende vermischen sich aber und Omega ist gleichzeitig ein Neuanfang. Diese Tür verschliesst sich uns meist, denn der Mensch wäre nicht fähig, mit solchen Kenntnisse etwas Vernünftiges anzufangen, und er würde viel Unheil damit anrichten. So könnte es sein.

Was ich sicher sagen kann, ist: Früher hatte ich keine Angst vor dem Tod, aber ich war jung und junge Menschen fürchten sich nicht vor dem Tod, die Jungen haben Angst vor dem Leben. Jetzt, mit 57, ist es meist umgekehrt, man hat Angst, auch nur an den Tod zu denken. Ich weiss aber, dass der Tod eine Etappe ist, ein Teilziel. Dieses kann Tod genannt werden, es kann aber ein Übergang sein in eine andere Form von Leben. Es ist ein anderes Leben. Ich fühlte mich alles andere als tot. Dort war alles viel lebendiger als das Lebendige hier auf der Erde. Ich empfand alles so viel intensiver – vielleicht mit mehr Liebe, ich weiss es nicht – aber tot war da gar nichts. Das ist alles, was ich sagen kann. Es war keine Wüste, kein Tod, nichts dergleichen. Alles lebt.

Nein, ich habe keine Angst vor dem Tod. Was ich aber in meinem Beruf für kranke oder todkranke Menschen tun kann, ist – ohne meinen Erfahrungsbericht oder religiöse Sätze zu benutzen, denn ich will niemanden beeinflussen oder bekehren, ihnen zu zeigen, dass es in ihnen drin dieses Türchen gibt, das sie noch nie geöffnet haben. Doch eben ohne jeden Bezug zu einem religiösen Credo, obwohl ich für bestimmte Religionen grössten Respekt habe. Nein, da gibt es einfach diese kleine Tür, die man irgendwann öffnet. So ist der Tod. Und was man dann auf der anderen Seite entdeckt, das kann sich keiner ausmalen. Die Schönheit der Welt dort übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Das ist besser als alles, was sie in ihrem Leben schon an Fantastischem, an Wunderbarem gesehen haben, es ist hundertmal schöner. Da ist nur dieses Türchen, das sich auftut, und jeder wird durch dieses Türchen gehen.

Was verändert dieses Wissen an unserem Verständnis von der «letzten Stunde»?

Ich glaube, durch mein Philosophiestudium habe ich viel gelernt. Ein namhafter Philosoph sagt: Philosophieren bedeutet, das Sterben zu lernen. (Philosopher, c’est apprendre à mourir, Michel de Montaigne, Anm. der Übersetzerin).

Ich erhielt mit 25 als Gunstbeweis/Gnade/Geschenk (frz. la grâce = Gnade) so etwas wie ein Handbuch über das Sterben und man sagte mir: «Da, du hast jetzt schon mal die Grundlagen, dann kniest du dich jetzt rein und strengst dich an, und wenn du fertig bist mit dem Studium, kannst du wiederkommen.»

Philosophie bedeutet also, dass man das Sterben lernt. Das ist wichtig, man muss das wirklich lernen, sonst wird es zum Albtraum. Wir müssen uns darauf vorbereiten, einerseits für uns selber, aber auch für unsere Angehörigen. Man muss lernen, an den Tod nicht wie an etwas Schlimmes oder Bedrohliches zu denken, er ist etwas Natürliches. Es gibt zwei Etappen im Leben, zwei Teilziele: die Geburt und den Tod. Die Geburt bereiten wir im allgemeinen vor, nicht aber den Tod.

Unsere westliche Gesellschaft hat hier ein ziemliches Problem. Das Thema Tod ist tabu, man diskutiert nicht darüber. Tod und Geld sind hier Tabuthemen. Sexualität etwas weniger, wenigstens heute, doch der Tod ist heutzutage noch mehr tabu, als er das in früheren Zeiten war. Sogar für einen, der weiss, dass der Tod nahe ist, z. B. in einer Palliativstation, ist es schwierig, darüber zu sprechen. Ja, man bereitet sich auf den Tod vor, auf die letzten Tage, die letzten Minuten. Nicht so sehr für sich selber, als vielmehr für die andern, denn wenn wir durch diese Tür gehen, sind wir im Zustand absoluter Glückseligkeit. Die aber, welche zurückbleiben, leiden – wenigstens diejenigen, die über solche Dinge nicht Bescheid wissen. Folglich ist es wichtig, dass wir alle Menschen, die uns lieb sind, so gut wie möglich vorbereiten.

Hat der Tod für Sie nach dieser Erfahrung eine heitere, freudvolle Seite?

Also: Freudvoll – ich möchte Ihnen nicht widersprechen, aber ich würde das nicht so formulieren. Wenn das so freudig wäre, möchte man vielleicht früher dorthin gehen als vorgesehen. Und man hat ja diese Möglichkeit; das ist die grösste Freiheit, die wir haben: zu leben oder zu sterben, also sich das Leben zu nehmen.

Sie haben ja gesehen, wie schön das für mich war, mein Zuhause wiederzufinden.

Natürlich hätte ich danach immer nur denken können, ich möchte wieder zurück, und zwar vor der Zeit. Doch das war nicht so. Nein, alles, was ich dort erfahren habe, bedeutet: Das Leben hier ist ein Wunder. Und auch diese NTE ist ja ein Teil des Lebens. Doch das ist nicht alles: Das Leben ist fantastisch. Ja, natürlich gibt es Leiden, Gewalt, Einsamkeit – da ist noch viel zu tun. Aber man darf das Zugticket nicht fälschen, um vor der Zeit heimzukehren, und man soll nicht glauben, man verbessere damit etwas, im Gegenteil. Ich kann nicht einfach sagen: «Ich habe es gesehen, ich habe es satt, ich kündige jetzt», nein. Das wäre mir noch nie in den Sinn gekommen. Das Leben ist wertvoller als vorher, das Leben ist von unsäglicher Schönheit. Und wir dürfen nicht zurück, ohne dass man uns dorthin ruft, ganz sicher nicht. Und auch wenn mich das Leben schon mächtig auf die Probe gestellt hat, auf körperlicher Ebene und auch emotional – und es wird so weitergehen: Ich werde dableiben.

Hat diese Erfahrung Ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben?

In meinem Fall war das so: Erst dank der Erfahrung bekam mein Leben überhaupt einen Sinn. Vorher hatte es keinen Sinn, es fand nur im Moment statt, ähnlich wie bei einem Tier. Ich war eigentlich ziemlich primitiv in meinem Verhalten. Ich hatte ein Hirn wie ein Reptil, ich ging mit dem Kopf durch die Wand. Das hat sich verändert, aber natürlich nicht von einem Tag auf den andern. Erst nach einiger Zeit kam dieser Sinn in mein Leben. Es brauchte Monate, bis ich das Erlebnis Stück für Stück einordnen konnte, und das alles ohne Austausch mit andern.

Ich hatte mich dermassen verändert, was meine Pläne anging, dass ich am Ende alle Freunde verlor. Ich war ein vollkommen anderer Mensch geworden. Ich war Stuntwoman gewesen, verdreht, verrückt, ohne jede Moral – und plötzlich hatte ich nur noch ein Ziel vor Augen, nämlich Philosophie zu studieren. Auf einmal liebte ich die Menschen, lächelte, war wohlwollend. Ich machte den Doktortitel in Philosophie, den Master II in Psychologie und das Aufbaustudium (frz. DEA, Diplôme d’études approfondies) in Soziologie. Doch all das tat ich nicht, um Titel zu sammeln, sondern damit mir die Leute glauben sollten, damit ich eine Berechtigung hatte, mich zu äussern, damit ich all das sagen konnte, was man mir damals zeigte. Ohne das wäre ich nicht in der Lage gewesen, diese Inhalte zu publizieren. Wie sollte ich ein Buch herausgeben? Da braucht man Referenzen, Quellenangaben. Das war, wie wenn dir jemand das Auto perfekt repariert, obwohl er noch nie einen Motor aus der Nähe gesehen hat.

Klar betrachtete man mich als Hexe, doch das bin ich nicht. Mein innerer Partner unterstützte mich zu 95%, damit ich in kürzester Zeit eine unglaubliche akademische Karriere durchlaufen konnte. Ich überhüpfte Studienschritte und dabei half mir meine rebellische Seite. Und es ging nicht um die Diplome; das einzige, was zählte, war, dass ich die Mittel in die Hand bekam, um alle meine Erfahrungen weiterzugeben, all das, was ich erlebt hatte und mit mir Tausende andere, was aber Milliarden eben nicht kennen. Man muss das weitergeben, damit auch andere eines Tages sagen können, was sie erfahren haben, und zeigen, wie schön das Leben ist. Es ist ja so wunderbar, dass ich nicht ohne Grund auf der Erde bin, mein Leben hat einen Sinn. Und zwar in beiden Wortbedeutungen (frz. le sens = Sinn; Richtung).

Es hat einen Sinn und gleichzeitig eine Richtung, wo es hingeht, eine Bestimmung, ein Ziel, also dass ich tue, was man mir aufgetragen hat, dass ich zu mir zurückkehre. Und es hat einen existentiellen, philosophischen Sinn, einen psychologischen Sinn auf allen Ebenen, in der Tatsache, dass – jedenfalls für mich ist das so – jeder eine Aufgabe hat, die er erfüllen muss.

Ich sehe das Leben als eine grosse Universität. Man nimmt eine Stufe nach der andern und natürlich fragt man, wenn man Hilfe braucht, nicht den Anfänger, sondern einen, der im C2 ist. Je weiter ich voranging, desto anspruchsvoller wurden diese Stufen. Manchmal hätte ich am liebsten aufgegeben, ich konnte nicht mehr.

Doch jedes Mal merkte ich wieder: das Gute, das ich bekommen habe, im Innern, dass ich die Prüfungen geschafft hatte, dass ich jemandem helfen konnte, dass ich ein Lächeln bekam als Antwort auf meinen freundlichen Blick – das brachte mir Glück, mehr als den andern. Ja, das Leben hat für mich einen Sinn bekommen. Und für mich war diese Aufgabe, diese Mission – auch ein Wort, das ich nicht mag – für mich war es, Fährfrau zu sein, lieben zu lernen. Die Liebe existiert. Und die Liebe zwischen den Menschen auch. Aber Lieben ist etwas anderes, lieben ist ein Verb, das muss man lernen, das hat man nicht einfach so. Man kann Liebe für jemanden empfinden und dennoch nicht fähig sein, ihn wirklich zu lieben. Und das tut ihm weh. Meine Aufgabe war vor allem, mit dem Verb lieben zu arbeiten, so wie es die Menschen verstehen. Das Lieben gibt es nur in der Gegenwart, in der Zukunft ist es idiotisch, in der Vergangenheit tut es weh und im Konjunktiv ist es regelrecht pervers.

Was ich sagen kann, ist: «Ich liebe dich, ich liebe euch.» Ich kann nicht sagen: «Ich hätte euch geliebt.» oder: «Ich liebte dich.» Nein, man muss lernen, was das Verb lieben bedeutet und wie man das Wort gebraucht, und dann lieben lernen. Was ist das, jemanden lieben?

Ist lieben, wenn ich das liebe, was mir der andere als Bild von mir widerspiegelt?

Nein, das ist sich selber lieben.

Liebe ich den andern, wenn es mir schmeichelt, dass er schön ist oder klug?

Nein, das ist nicht lieben. Dann liebe ich nicht den anderen Menschen, auch hier liebe ich nur mich.

Ist lieben, wenn man nur die schönen Seiten des anderen liebt, und sobald sich seine Mängel zeigen, verlässt man ihn?

Nein, auch das ist es nicht, da geht es nur um meinen Vorteil.

Also Lieben ist ein ganzes Leben, das muss man lernen; ich habe das gelernt. Ich sage nicht, dass ich es wirklich kann. Aber ich bin schon etwas fortgeschritten in meinem Lernprozess. Ich bin noch lange nicht am Ende. Und da ich schon ein erstes kleines Lerndiplom habe, bin ich jetzt Fährfrau und in meiner Tätigkeit, auch in meinen Büchern ist das Ziel immer, (01:01) lieben zu lernen, den Menschen zu zeigen, wie sie die Fehler vermeiden können, die ich gemacht habe. Ihnen klar machen, dass es normal ist, wenn man das nicht einfach so kann. Das sollte man ganz früh gezeigt bekommen, aber niemand unterrichtet uns darin.

Bis zum Alter von 25 Jahren hatte ich gelernt zu hassen und wild um mich zu schlagen. Dann habe ich 32 Jahre lang – bis heute – gelernt, zu lieben und anderen das Lieben beizubringen.

Vor dieser NTE hatten Sie kein Interesse an Bildung. Wie war das, als sich plötzlich dieser Wissensdurst bei Ihnen zeigte?

Ich verliess mein Elternhaus mit 17 und war glücklich darüber. Mit der Wut, die ich damals im Bauch hatte, war an ein Studium nicht zu denken, denn ich hatte keine Lust zu lernen und war auch unbegabt. Ich war Sportlerin, mich interessierte der Körper. Ich hörte nach dem letzten Jahr Gymnasium auf und bin froh, dass ich nicht sofort mit Studieren angefangen habe, das wäre nicht gut herausgekommen.

Nach der NTE hingegen, in den ersten 6-7 Monaten, als ich mich an dieses neue Leben gewöhnen musste, schrieb ich viel im Cahier de silence, denn der innere Partner forderte immer mehr und immer konkretere Dinge von mir.

Das erste, was geschah, war, dass ich in eine Bibliothek geführt wurde. An so einem Ort war ich vorher natürlich noch nie gewesen und nun ging ich also in die Grande Bibliothèque von La Rochelle und zwar direkt zur Abteilung Philosophie, Psychologie etc. Ich sah diese ganzen Titel und fragte mich, was in aller Welt ich hier verloren hatte.

Es zog mich zu einem der Bücher hin, es war ein Buch von Vladimir Jankéléwitch, einem zeitgenössischen Philosophen, das unendlich anspruchsvoll ist und schwer zu deuten, was ich damals natürlich nicht wusste. Ich las und staunte, denn ich verstand alles. Und es interessierte mich auch alles. Ich nahm ein anderes Buch und spürte diesen Durst, dieses Wissenwollen. Ich wusste, ich will lernen. Ich wollte die Geisteswissenschaften kennenlernen, in erster Linie die Philosophie. Der innere Partner Er-Es schenkte mir eine aussergewöhnliche Leichtigkeit beim Lernen – vielleicht unverdient, ich weiss es nicht, aber ich hoffe, etwas halbwegs Vernünftiges daraus gemacht zu haben. Nach drei Jahren schloss ich das Studium der Philosophie ab. Ich las und las, sog die Bücher regelrecht in mich hinein, machte Analysen, alles war mir klar, ich verstand alles. Und das war eben die Zeit, als ich alle Freunde verlor. Ich verlor die ganze Familie, aber da war ja schon früher vieles im Argen gewesen.

Einzig meine Grossmutter reagierte anders. Als ich ihr sagte, ich sei in Paris an der Sorbonne, meinte sie, das sei toll und sie sei stolz auf mich. Sie zweifelte nie an mir. Meine Mutter hingegen sagte mir ins Gesicht, das könne nicht sein, ich sei zu wenig intelligent für so etwas.

Ich ging durch dieses Studium ganz ernsthaft, aber auch völlig leicht, das Lernen ging gut. Und das Ziel war offensichtlich, dass ich diese Diplome bekomme – und zwar schnell. Das ganze Studium war nur ein Etappenziel, das rasch erledigt werden musste, damit ich weiterkam und anderes anpacken konnte.

Ich belegte auch Pharmazie und 1-2 Jahre Medizin. Man konnte sich damals in Frankreich für alles gleichzeitig einschreiben, da sagte keiner was. Nur der Professor, bei dem ich in Philosophie doktorieren wollte, schaute mich ziemlich schräg an, als er merkte, dass ich auch in Psychologie eingeschrieben war und zusätzlich noch Soziologie studieren wollte. Er wurde aber trotzdem mein Doktorvater und so hatte ich bald mein Doktorat in Philosophie und daneben einen Master in Sozialpsychologie. Danach machte ich ein Aufbaustudium (frz. DEA) in Soziologie. Was ich alles studiert habe, würde eigentlich ca. 15 Jahre dauern, ich habe es in fünf Jahren gemacht. Viele werden mir das nicht glauben, aber dazu sage ich nichts. Vielleicht glaubt man, ich fantasiere. Aber was würde mir das bringen, mit 57 Jahren Lügen zu verbreiten? Ich habe 17 Bücher geschrieben und Kinder aufgezogen, habe Familie und einen Freundeskreis, ich muss niemandem etwas beweisen. Es ist aber so dermassen ausserordentlich, dass ich gut nachvollziehen kann, wenn mir die Leute nicht glauben.

Der Wissensdurst war sehr gross, doch das eigentliche Ziel war es, zu lieben und andere zu unterstützen. Und dazu brauchte ich sozusagen einen Pass, ein Visum, um etwas Seriöses anzufangen, damit ich mich öffentlich äussern konnte.

Hatten Sie nach der NTE noch weitere neue Fähigkeiten?

Das Geschenk, der Rucksack, den ich damals erhielt, war voll von Fähigkeiten, die ich früher nicht hatte. Der Zugang zu Kenntnissen ist für mich leicht. Ich habe aber Angst vor dieser Kraft und benutze sie lieber nicht. Diesen Zugang gibt es nicht einfach so, zum Spass. Wenn ich etwas wirklich wissen muss, dann ist das da. Wenn ich medizinische Informationen brauche, dann kommt das Nötige zu mir. Ich gehe aufs Netz, finde das eine oder andere Stichwort und habe sofort den Durchblick. Nicht wie eine richtige Ärztin natürlich, aber es reicht, um mir und anderen zu helfen.

Ich spüre die Emotionen der anderen ganz intensiv, sogar wenn mir Patienten diese verbergen wollen. Meine Empathie für andere ist tausendfach verstärkt. Das ist zwar recht nützlich, doch in meiner Arbeit als Psychologin nicht immer einfach. Oft bin ich nach einem Arbeitstag fix und fertig und weine die Tränen, die eigentlich meine Klienten hätten weinen sollen. Manchmal spüre ich die Brüche, die sie in sich tragen. Es ist, wie wenn ich in ihnen drin wäre. Und ich sehe, dass sie nicht weinen können, dass sie nicht gelernt haben, zu weinen. Ich kann nicht sagen, ich sei eine Seherin und könne Dinge vorhersehen, das ist es nicht. Aber wenn ich etwas wissen wollte, dann gab es immer einen Weg zu einer Antwort. Es gibt viele empathische Menschen, die auch darunter leiden, dass sie so sind. Ein Schwamm zu sein, der alles aufnimmt, Positives wie Negatives, das ist sehr anstrengend.

Aber ich habe das Werkzeug in die Hand bekommen, mit dem ich die Negativität, das Dunkle anderer Menschen aushalten, es beiseite legen und ihnen etwas Positives zeigen kann, und auch Methoden, um sie zum Sprechen zu bringen. Das funktioniert natürlich nicht immer. Es gibt Fälle, da bin ich nachher kränker als der Klient. Und doch: Es ist eine Gabe, eine Begabung. Ich habe einige solche kleinen Gaben. Da kommt ein Mensch zu mir, verspannt, erschöpft, und ich möchte es so machen, dass sich der andere wohlfühlt und gesund werden kann.

Vorher, bevor ich dieses Werkzeug in die Hand bekam, war ich das Gegenteil. Und seit dieser NTE mit all dem, was ich dort erfahren und später noch dazugelernt habe, hat sich bei mir alles verändert. Und das wird so bleiben. Früher war den Leuten nicht wohl um mich herum. Ich hatte eine gespaltene Zunge, ich war unehrlich. Der Unterschied ist wie Tag und Nacht. Und ich verstehe, dass meine Freunde nichts mehr mit mir anfangen konnten.

Vorher war das so: Ein Pferd hatte man, um es zu dressieren, damit es die Stunt-Aufnahmen schaffte. Nach der NTE hingegen war dieses Tier für mich wie ein Partner, es gab eine Art von Miteinander. Ich streichelte es, ich spürte seine Seele und das Pferd merkte das. Es gab Pferde – und schwierige Pferde!, die auf mich zukamen und mir den Kopf auf die Schulter legten, einfach so. Ich hatte keine Lust mehr, sie zu reiten, ich war nur noch mit ihnen zusammen. Ich war wirklich vollkommen anders als früher. Ich habe die Freunde verloren und die Einsamkeit erlebt. Und ja, ich musste mich völlig neu erfinden. Ich habe dann neue Freunde gewonnen. Doch das ist ein ziemlich schizophrenes System. Die Befreiung kam, als ich zum ersten Mal nach 32 Jahren meine Geschichte erzählte.

Da gab es die einen, die wussten, wie hart, rebellisch und aggressiv ich früher war, und die erkannten mich jetzt nicht mehr. Daneben andere, die sich nicht vorstellen konnten, dass ich einmal so negativ war. Irgendwann zeigte ich meinen Kindern ein altes Foto von mir, eines der seltenen Bilder, die es von mir gibt. Ich war darauf 18 und trug einen Cowboyhut, denn ich kam direkt aus einer Filmaufnahme. Mein Blick war total hart, richtig aggressiv und sie glaubten mir nicht, dass ich das war. Ich hasste es, wenn man mich fotografierte, aber ich hatte einen Kollegen, der dieses Bild unbedingt wollte. Meine Kinder sagten, das könne ich unmöglich sein; sogar ich staunte. Ja, ich habe ein Geschenk, eine Gnade erhalten. Nicht wir entscheiden, was geschieht, das habe ich gelernt – und mit grosser Demut. Ich lerne jeden Tag und alles, was ich lerne, ist einfach nur Glück und Zufriedenheit. Um glücklich zu sein, muss man versuchen, andere zu beschenken.

Und wenn es dafür nochmals eine Schädelfraktur braucht, wenn ich alles noch einmal von vorne anfangen müsste, dann wäre es halt so. Ich würde es annehmen.

Glauben Sie, dass NTE-erfahrene Menschen den Auftrag haben, eine Botschaft weiterzugeben?

Ich glaube, die Tatsache, dass man etwas im wahrsten Sinne Ausser-Ordentliches erlebt hat, darf nicht im Verborgenen bleiben. Man hat etwas ganz Besonderes gelernt, und ich meine alle, die eine NTE hatten. Ich bin ja keine Fachfrau, ich bin einfach ein Mensch, der eine Erfahrung gemacht hat.

Ich habe erkannt, dass das Leben schön ist und dass die Sorgen, die wir uns im Alltag machen, unbedeutend sind. Wir leben, um zu lieben, um uns auszutauschen, um einander zu helfen. Und wir müssen dafür sorgen, dass dieser Planet der schönste ist, dass die Bewohner dieses Planeten die glücklichsten sind. Mit oder ohne NTE – man muss diese Geschichten weitersagen.

Wenn ich einen Vortrag halte und da sitzen über 100 Personen im Publikum, auch wenn ich von denen nur zwei erreiche oder berühre mit meiner Erfahrung, egal.

Auch wenn man so etwas nur im Familien- oder Freundeskreis erzählt, den Kindern, dem Mann, einer Schwester oder einem Bruder, das reicht schon, das ist ein Anfang. Und man fasst Vertrauen zu sich selber und sieht sich nicht mehr als jemand, der etwas erlebt hat, über das man besser nicht spricht, das versteckt werden muss, weil uns vielleicht der eine oder andere Wissenschafter nicht ernst nimmt und die Geschichte ins Lächerliche ziehen könnte. Niemand will, dass man über diese wunderschöne Erfahrung lacht, und das ist wohl für viele der Grund dafür, dass sie niemandem davon erzählen. Die Leute sollen aufhören, solche Geschichten lächerlich zu machen, Gewinn daraus zu ziehen oder sich unsachgemäss dazu zu äussern. Es gibt auch welche, die solche Geschichten nur vom Lesen her kennen und dann erzählen, sie hätten selber Ähnliches erlebt. Doch da sind Mediziner, die etwas von der Sache verstehen, und die merken schnell, dass ein Bericht nicht stimmen kann. Und das ist dann unschön, peinlich.

Finden Sie es wichtig, dass das Thema kein Tabu mehr ist?

Es ist wirklich von grösster Bedeutung, dass mehr über das Thema gesprochen wird. Und man muss das in einem wissenschaftlichen Rahmen angehen. Das sollen aber nicht Leute tun, die das Thema in Frage stellen, einfach weil es noch immer keine Erklärung dafür gibt, die ihnen ins Konzept passt. (01:19) Es soll vielmehr von Wissenschaftern behandelt werden, die sagen können, dass ihnen zwar noch keine Erklärung zur Verfügung steht, dass so etwas aber durchaus existieren kann, auch wenn man es noch nicht genau erklären kann. Wenn jemand im 19. Jh. ein Mikrofon oder ein Mobiltelefon vorgezeigt hätte, wäre er erhängt worden. Man muss also offen bleiben. Es ist wichtig, dass jeder Zeuge eines solchen Erlebnisses frei und mit Leichtigkeit darüber sprechen kann, ohne dass es dafür Mut braucht.

Ich habe den Mut – doch ich spreche lieber von Leichtigkeit: Ich habe die Leichtigkeit, frei über meine Geschichte zu reden.

Das Thema muss mehr von seriösen, anerkannten Wissenschaftern eingeordnet werden, die Leuten, die eine solche Erfahrung erzählen möchten, ein Forum zur Verfügung stellen. Und sie müssen Personen in ihre Schranken weisen, welche mit falschen Wundergeschichten Missbrauch treiben wollen.

Man muss diejenigen reden lassen, die eine ausserordentliche Geschichte erlebt haben, welche den Lauf ihres eigenen Lebens und auch das Leben von vielen anderen Menschen verändern kann. Ich erwarte von diesen Wissenschaftern, dass sie uns ernst nehmen und schützen.

Sie haben die Mittel dazu, wir als einzelne Individuen können das nicht. Was man als Individuum tun kann, ist teilnehmen, alle Schamgefühle überwinden und das, was man als Wertvollstes, Persönlichstes hat, öffentlich zeigen. Es ist das Intimste, was wir im ganzen Leben haben, und man muss es erzählen und sei es nur, um denen das Maul zu stopfen, die bezüglich diesem Thema irgendwelchen Blödsinn von sich geben.

War es schwierig, diese Erfahrung so lange mit sich herumzutragen und dann öffentlich zu machen?

Es war eine wunderbare Gabe, ein Geschenk, doch dann waren da die 32 Jahre des Schweigens. Raymond Moody gab sein erstes Buch heraus (1975, Life after life, Anm. der Übersetzerin), das damals aus medizinischer Sicht und in der allgemeinen Auffassung fast sektiererisch war, ketzerisch, ausserhalb jeder Norm; es gehörte eigentlich in die Abteilung Geisteskrankheiten. Damals konnte man auf keine Art über so etwas sprechen, weder ich noch andere. Bei meinen Freunden wäre das genau gleich gewesen wie bei dem jungen, netten Arzt mit dem Blick, den ich damals bei ihm sah. Er war überzeugt, dass der Sturz bei mir Halluzinationen hervorgerufen hatte. Aber ich wusste, das war nicht so. Ja, es war schwer, darüber zu schweigen, vor allem an Anfang. Man gewöhnt sich aber daran. Man hat einen Teil in sich, den man dauerhaft unter Verschluss hält.

Was das Problem erträglich machte, war diese Präsenz, dieser Freund, den ich in mir drin hatte. Ich war mit meinem Schweigen nie ganz allein. Ich wusste nicht, dass ich eines Tages darüber sprechen könnte. Ich hatte akzeptiert, dass ich vielleicht sterben würde, ohne je darüber berichtet zu haben. Doch das war nicht wichtig. Es ging zu dem Zeitpunkt nicht darum, zu reden. Was zählte, war einzig, dass ich mich an die Arbeit machte, denn mein Leben hatte jetzt einen Sinn. Das war das Wichtige.

Was dann im Nachhinein witzig war, sind Dinge, die parallel liefen, wie zufällig: Ich wohnte nahe bei Aix-en-Provence und war vor meinem damaligen Mann geflohen, von dem ich mich scheiden wollte, weil er gewalttätig war. Ich versteckte mich vor ihm in einem kleinen Ort in der Nähe von Oraison. Und eines Tages stiess ich im Internet auf die Adresse von Jean-Pierre Jourdan (Regisseur dieses Videos, Anm. der Übersetzerin) und stellte fest, dass er in Oraison selber wohnte, und ich dachte: «Das darf doch nicht wahr sein! Das gefällt dir hier wohl auch ganz gut!» Dann sagte ich zu mir, ok, dann ist das ein Neustart.

Wie muss man sich diesen «inneren Freund» vorstellen?

Es ist schwierig, auch hier, Worte in unserer Sprache zu finden für Dinge, die man gewöhnlich nicht zu sehen bekommt. Ich nenne das mal einen Teil von mir, der sich geöffnet hatte, es war eine Art innerer Kollege. Doch das ist gleichzeitig auch ein Teil von mir selber, der offen war und mir Zugang zu Potential verschafft hatte. Es war ein Geschenk, ich wusste, sobald Bedarf war, würden die nötigen Wörter und Begriffe zu mir kommen, ich würde Erklärungen und Kenntnisse erhalten und würde wissen, was zu tun ist. Es geht hier nicht um Inhalte, die ich im Studium erarbeitet hatte. Was ich an der Uni gelernt habe, das ist normal, das kommt von mir, aber ich merkte, dass es immer wieder ein Verständnis von Zusammenhängen gab, das ich mir nicht selber angeeignet hatte und zu dem ich eigentlich nicht befugt gewesen wäre.

Da geht es nicht ums Gedankenlesen, ich sehe nicht, was mein Gegenüber denkt. Aber es gibt Momente, wo ich Dinge klar durchschaue, z. B. das Bauprinzip eines Gebäudes – und da kenne ich mich ja überhaupt nicht aus. Aber ich sage zu jemandem: «Dort müsste man in diesem Haus unbedingt das und das verändern – man müsste dort wirklich eine Schräge, eine Strebe einbauen.» Und der Gesprächspartner hat den Eindruck, ich sei vom Fach, ich sei gleich gut ausgebildet wie er, und findet meinen Vorschlag super, eine tolle Idee. Dieses Wissen aber kommt aus einer tiefen Quelle in mir drin, von dieser Energie, die ich Er-Es nenne. Ich glaube nicht, dass noch ein anderes Wesen in mir ist, nein, das bin ich. Ich führe auch einen kleinen, humorvollen Dialog mit diesem Teil von mir, das ist jetzt mein neues Ich.

Haben Sie dadurch Zugang zu erweitertem Wissen?

Ja, aber dieses Wissen ist nicht umfassend, nicht wie in der NTE, als ich alles sah. Auch wenn ich das wollte, wenn sich diese Tür wieder auftun würde, ich habe keinen Zugang zu grenzenlosem Wissen, das steht mir nicht zu. Ich habe Zugang zu sehr differenzierten Inhalten, über die ich in möglichst schlichten Worten spreche, und es ist mir einfach klar: So ist es richtig, so muss man es machen. Das klappt nicht immer, aber wenn ich mich besonders konzentriere, geht es oft gut.

War es schwierig sich zum Schweigen zu zwingen?

Ja, das war die kleine Schattenseite dieser wunderbaren Erfahrung. Dass es nicht möglich war, mit jemandem zu sprechen. Die Zeit war nicht reif dafür.

Heute könnte man vielleicht – nicht in allen Spitälern, aber in einigen schon – jemanden finden, der zuhört, aber damals war das unmöglich. Da entsteht eine tiefe innere Einsamkeit und man muss dafür sorgen, dass sie einen nicht aus der Bahn wirft. Einerseits kann man die schönste Geschichte seines Lebens niemandem erzählen und das tut weh – und es genügt nicht, wenn man sie sich selber erzählt. Auf der anderen Seite, je mehr diese Erfahrungen verbreitet werden – und es gibt immer mehr solche Berichte – desto mehr tut und weiss man Dinge, kann diese den anderen aber nicht erklären, wenn sie fragen, warum man etwas tut oder sagt. Ich bin gezwungen, mit den Jahreszahlen zu schummeln – heute ist mir das egal – ich sage einfach nicht mehr, dass ich alle diese Studien in fünf Jahren abgeschlossen habe. Ich muss wirklich lügen, obwohl ich in mir drin eine wunderbare Wahrheit trage. Ich sage mir: «Warum muss ich lügen? Warum zwingen mich die Menschen zu lügen?»

Sobald ich merkte, dass die Leute Zweifel hatten, machte ich Schluss, man zieht sich zurück. Man ist ein bisschen wie auf der Flucht. Das ging so, bis ich dann endlich genug Diplome und Titel hatte, dass man sagen konnte, die Frau ist doch recht gescheit, und was sie sagt, ist von Belang, aber vorher war das sehr schwer. Und weil ich diese Einsamkeit erlebt habe, bin ich heute ein Mensch, der das Alleinsein liebt. Und das für den Rest meines Lebens. Zwei Wochen, sogar zwei Monate ohne Gesellschaft, das ist für mich kein Problem.

Ich glaube, es war mein Verleger, der zu mir sagte: «Sie sind schon recht speziell, Sie sind eine Einzelgängerin, aber eine gesellige.» Und er hat Recht, denn ich bin auf der einen Seite wirklich gern allein, auf der anderen liebe ich die Menschen von ganzem Herzen und bin gerne mit ihnen zusammen. Ich dränge mich nicht auf, aber wenn mich jemand braucht, dann bin ich da. Und ich liebe es, in Gesellschaft zu sein. Mit mir lebt es sich richtig gut.

Ich finde, heutzutage ist das Alleinsein eine grosse Belastung, etwas, mit dem wenige wirklich umgehen können. Ich würde sagen, ich bin darauf vorbereitet worden. Ich werde nie an Einsamkeit leiden. Jedenfalls nicht auf schlimme oder peinliche Art.

Welche Erinnerung haben Sie an Ihre NTE?

Ich möchte das gar nicht wie eine Erinnerung einstufen. Ich habe zwei Kinder, die beiden Geburten waren fantastisch, das sind tolle Erinnerungen. Oder als ich mich verliebte oder dann wieder verzweifelt war, z. B. als meine Grossmutter starb. Ich hatte zwei Unfälle, ich war schwer krank, hatte auch Momente grosser Freude – all das sind Erinnerungen, ähnlich wie Fotos.

Und daneben gibt es die Seite der Tatsachen, meine NTE-Reise. Das ist viel mehr als eine Erinnerung. Um Erinnerungen hervorzuholen, Bilder wieder zu finden, muss sich das Hirn anstrengen. Hier hingegen nicht: Wenn ich darüber sprechen will, was vor 32 Jahren stattfand, ist alles da. Nur für die Nebensächlichkeiten, die danach kamen, brauche ich Zeit, nicht für das Erleben bei der NTE selbst.

Wie ist die Erinnerung an diese NTE im Vergleich zu anderen Erinnerungen?

Das ist mehr als eine Erinnerung, es ist ein Wiedererleben. Wenn Sie es ansprechen, erlebe ich das von neuem. Ich sehe das sanfte goldene Licht, sehe dieses Wesen und da ist dieses Gefühl, daheim zu sein, dieses Empfangenwerden, wie ich es nie gekannt habe, wie es hier auf der Erde nicht vorkommt. Das ist immer in mir drin. Und vielleicht ist das ja der Grund, warum mir das Leben so leicht fällt.

Welche Botschaft haben Sie für junge NTE-Erfahrene?

Haben Sie keine Angst, sich zu äussern. Haben Sie keine Angst, davon zu erzählen, sogar wenn man Ihnen nicht glaubt, das ist egal. Die Erfahrung ist da, auch wenn andere sie nicht nachvollziehen können. Haben Sie bitte keine Angst davor, Ihre NTE zu erzählen. Reden Sie, auch wenn man Ihnen nicht glaubt, erzählen Sie.