„Ich war noch sehr jung (19-jährig) und machte eine Lehre als Krankenschwester. In sehr atheistischem Hause aufgewachsen, hatte ich mir seit meinem 10. Lebensjahr selbst eine Ahnung von Gott beigebracht durch Lesen. Über das Jenseits, auch über die Seele an sich, hatte ich mir noch keine grossen Gedanken gemacht. Ich wurde krank, bekam eine Lungenentzündung und man gab mir nach und nach die 3 Antibiotika, die es damals erst seit kurzem gab (man schrieb das Jahr 1955), ohne dass sie etwas bewirken konnten. Im Gegenteil: ich wurde immer kränker, wurde in ein Einzelzimmer des Schwesterntrakts des Spitals verlegt und man war ziemlich ratlos, was zu tun sei. Es sei keine gute Empfehlung für das Spital, wenn Schwestern sterben. . .
Ich konnte nicht mehr essen, nur noch trinken und so presste man in der Spitalküche täglich 2 Liter Orangensaft aus frischen Früchten. Ansonsten trank ich Wasser. Das Fieber stieg auf fast 42° und blieb dann während 14 Tagen stationär. Die Lungen schmerzten bei jedem Atemzug und so beratschlagten eines Abends der Spitaldirektor und der Hausarzt für die Krankenschwestern neben meinem Bett, ob man mir die Lungen punktieren wolle. Das weckte mich aus meinem Dämmerzustand und ich sagte: „Wenn ihr schon so lange darüber beraten müsst, so möchte ich keine Punktierung“. Und so respektierte man meinen Willen und liess mich liegen ohne weitere Behandlung.
Zuerst hatte ich Träume. Vieles an Lebensbewältigung ging durch mich hindurch in diesen Tagen. Danach kam eine Zeit der Stille. Ich lag einfach nur noch da. Dann, eines Tages geschah etwas Unfassbares: ich schwebte ganz leicht und unwillkürlich aus meinem Körper hinaus und konnte von oben auf mich selbst im Bett hinuntersehen. Zugleich merkte ich, wie meine Schmerzen verschwunden waren. Ich dachte an den blühenden Baum, der draussen vor meinem Fenster im Hof stand und im gleichen Moment schwebte ich selbst hinaus und befand mich in diesem Baum. Ich dachte zuerst, wieder zu träumen, doch dann realisierte ich, dass das Erlebnis viel realer war als ein Traum. Ich war von einer leichten, durchsichtig hellblauen Unstofflichkeit und konnte mich durch die Wände hindurch bewegen nur durch meine Gedanken. Dieses erste Mal dauerte nicht sehr lang, da ich mir Sorgen machte, was unterdessen mit meinem Körper im Bett geschehen würde. Und schon war ich wieder dort und wunderte mich, als ich wieder still und mit Schmerzen da lag.
In den folgenden Tagen konnte ich dann selbst jeweils bestimmen, wann ich hinaus wollte aus diesem Körper und ich flog viel umher, wohin immer ich wollte. Ich besuchte u.a. meine Mutter, die ich beim telefonieren belauschte und meinen damaligen Freund, der über Schularbeiten in seinem Zimmer sass. Ich erinnere mich, dass ich mir jeweils sagte: „Geh‘ nicht zu weit! Du musst dann und dann wieder zurücksein, sonst meinen die Schwestern du seiest tot“. Auch merkte ich, dass ich mich bei den Menschen nicht bemerkbar machen konnte.
Es gab aber auch andere „Ausflüge“, die ich nicht selbst bestimmte: so fand ich mich manchmal plötzlich in einer Art vierten Dimension. Ich war nicht „in den Himmel geflogen“, sondern einfach in eine andere Ebene gerutscht, wo es wunderbare Landschaften mit vielen Blumen und leichten grasbewachsenen Hügeln gab. Auch leise und feine Musik war zu hören und über alles strahlte ein feines, eher etwas diffuses aber warmes Licht. Und ich wusste: dort, dort im Licht, da ist Gott. Ich fühlte mich von diesem warmen Licht umfangen und wollte gar nichts anderes mehr als dorthin zu gelangen. Gleichzeitig war mir in diesem Zustand plötzlich so vieles klar, von dem ich im Leben noch gar keine Ahnung gehabt hatte, dass ich nur staunen konnte über dieses Wissen. Mir schoss das Wort „Garten Eden“ durch den Kopf bei diesem Licht, bei dieser Landschaft.
Später fand ich bei Franz Rosenzweig in seinem Buch „Der Stern der Erlösung“ (Seite 424), eine ganz gute Beschreibung dieses Zustandes. Er schreibt: „Dass Gott liebt, erfahren wir, nicht dass Gott die Liebe ist. In der Liebe kommt er uns zu nah, als dass wir noch sagen könnten: dies oder das ist er.- Nur dass er Gott ist, erfahren wir in seiner Liebe, aber nicht was er ist. Das Was, das Wesen bleibt verborgen. Es verbirgt sich gerade, indem es sich offenbart.“
Der Chorleiter Bo Katzman sagt nach seinem Nahtoderlebnis, das er in jungen Jahren hatte: „Da realisierte ich, worum es im Leben geht. Nämlich darum, das eigene Liebesgefäss, die eigene Liebesfähigkeit zu vergrössern, damit man immer mehr von dieser Energie aufnehmen kann, die einen zum Leuchten bringt. Mir war klar, wie nah diese „Welt hinter der Welt“ der unseren ist. Ohne dass wir es sehen oder wissen, sind wir in unserem Leben wie eingebettet in der Ewigkeit. Und das „ewige Leben“ quasi in Reichweite, gleich um die Ecke.
Als ich selbst so weit war, dass ic in dieses grosse Licht hineingehen, darin aufgehen wollte, war da eine grosse, leicht gräuliche Figur (Ich habe sie nachher als Engel betrachtet, obwohl sie nicht weiss war und keine Flügel hatte). Dieser grosse Engel hielt mir seine Hand stoppend entgegen und sagte mir, ich könne nicht hinein, es sei noch nicht meine Zeit und ich hätte noch eine Aufgabe zu erledigen. Es war alles sehr leicht und selbstverständlich.
Ich bin auch anderen begegnet, die aussahen wie ich, leicht durchsichtige, bläuliche Gestalten, aber niemand, den ich gekannt hätte, obwohl mein Vater damals erst 6 Jahre tot war. Wir sprachen miteinander durch Gedankenübertragung, sodass die Frage nach woher oder Sprache sich gar nicht stellte. Und auch diese Anderen konnten sich so frei bewegen wie ich. Mit etwa sieben „Personen“ blieben wir zusammen und tauschten uns aus. Einer von ihnen hiess Phil. (Ich habe in meinem ganzen Leben keinen gekannt mit diesem Namen.) Plötzlich fiel mir ein, wenn ich nun vielleicht sterben würde, wäre ich noch nie in Amerika gewesen und so schlug ich vor, wir könnten doch dorthin gehen. Da die Andern einverstanden waren, flogen wir in ganz kurzer Zeit dorthin (man musste es sich eigentlich nur wünschen und schon war man dort). Als wir über dem Hafen von New York schwebten, fiel mir auf, dass Phil fehlte und ich fragte nach ihm. Da zeigte einer von uns nach unten. Und ich sah, dass da unten im Hafen einer (mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb: es war Phil, der ertrunken war und nun definitiv gestorben war. Nur deshalb war er nicht mehr bei uns, weil er schon „weitergegangen“ war. Irgendwie verdarb mir das die Lust, weiter zu reisen und ich entschloss mich zur Rückkehr.
Wieder zurück wunderte ich mich, dass es so gar kein „Gericht“ gäbe, wie es doch in der Bibel oft erwähnt wird. Und auch da kam die Antwort wie von selbst: Jeder, der hier ist, weiss selbst was er gut oder schlecht gemacht hat und kann sich selbst entscheiden: hier zu bleiben und so akzeptiert zu werden, wie er nun mal ist, oder irgendwann zurückzugehen in ein anderes Leben um sich zu verbessern.
Kaum hatte ich das mit den andern Leben gedacht, als ich mir bewusst wurde, dass da irgendwo noch mein Körper war, der auf mich wartete. Und schon war ich auch wieder bei diesem leblosen Körper und tauchte wieder im Leben auf.
Eines Abends kam der Arzt, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Auf seine Frage hin sagte ich ihm, es gehe schon, aber ich ärgere mich dass „die Leute“ (es hatten damals nur meine Mutter und mein Freund Zutritt zu mir) so schauten, wie wenn ich schon gestorben wäre. Ich fühlte mich damals schon sehr weit von irdischen Bindungen entfernt. Darauf lachte der Arzt und sagte mir, er möchte mir jetzt etwas geben, das erst in der Erprobung sei. Einen Namen des Medikaments wollte er mir nicht nennen. Er brachte mir dann eine riesige weisse Tablette. Da mein Gehirn ganz normal auf alles reagierte, dachte ich mir: das sieht aus wie ein Placebo. Er brach dann die Tablette in kleine Stücke und gab sie mir mit Orangensaft ein, wobei er sagte: „Entweder bist du morgen tot, oder es geht dir besser!“ Da haben wir zusammen gelacht. Ich hatte ja schon gesehen, dass Sterben nicht etwas Schlimmes ist.
In dieser Nacht schlief ich wunderbar und am nächsten Morgen war das Fieber auf 38.2 gesunken. Aus dem Körper austreten konnte ich nachher nie mehr. Nur hie und da kann ich die Gedanken Sterbender oder bewusstloser Menschen noch hören in meinem Kopf.
Seit diesem Erlebnis ist mein Glaube an Gott unerschütterlich; ich fühle mich auch in schlechten Umständen immer geborgen und der Gedanke an Wiedergeburt ist mir nicht mehr fremd. Wenn man mich heute fragt, was Gott ist, sage ich, für mich sei Gott reine Energie und was in uns lebendig ist, ist der sogenannte „göttliche Funke“, der im Judentum ein Begriff ist. Und dieser Funke geht dann schlussendlich wieder ein in das grosse Licht. Was weiter (dort) ist, weiss ich natürlich nicht. Ich habe heute Hemmungen vom „Himmel“ zu reden. Für mich ist das die „Ewigkeit“, die sowohl hier wie dort ist. Ich bin ja auch an beiden Orten herumgeflogen als hellblau durchsichtiges Häuchlein (Am ehesten irdisch zu vergleichen mit den blauen fliegenden Figuren von Chagall).
Ich bin heute fast 80 Jahre alt. Aber das Ganze ist mir heute noch unglaublich lebendig. Ich habe keine Angst vor dem Tod, habe auch beruflich viel bei Sterbenden gewacht um sie zu begleiten.
Wie singt doch Daliah Lavi in ihrem Abschiedslied: „Warum soll mein letztes Lied denn traurig sein? Jeder Abschied ist ein Anfang“